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Amiga -- The Next Generation - Chris Hodges - 31.08.99


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31.08.1999 - Autor: Chris Hodges

Amiga -- The Next Generation?


Die Geschichte des Amiga ist eine Geschichte voller Mißverständisse  --  oh
sorry,  das sind nur die schädlichen Nachwirkungen der täglichen, natürlichen
Strahlendosis durch den Fernseher. Da lob ich mir doch das Kino, da gibt es
glücklicherweise  nur  vor  dem  Film  die expliziten und/oder sublimierten
Konsumbotschaften.

Apropos Kino: Oft zeigt ein Blick in  die  Breitbild-Unterhaltungsindustrie
Analogien zur und Metaphern der Computerwelt auf, die man leicht übersieht,
wenn man das Kino wirklich nur als  stumpfsinnige  Unterhaltung  gebraucht.
Kommen  wir damit zurück zum Amiga. Bis vor kurzem noch sah die Odyssey des
Amigas aus wie die von Titanic (ich gebe zu, die Neuverfilmung nie  gesehen
zu  haben,  hab  ich  mich  jetzt  geoutet?),  die  mit dem Konkurs-Eisberg
kollidiert  ist  und  langsam,  aber   stetig   untergeht   (oder   bereits
untergegangen ist). Kommt das davon, wenn der Kommodore Mehdi Ali heißt?

Daß es nicht nur 'traditionelle' Schiffe  mit  diesem  bedeutungsschwangeren
Namen  gibt,  zeigt  übrigens  Douglas  Adams  und  Terry  Jones  mit ihrem
Buch/Spiel "Raumschiff Titanic"  (welches  durchaus  lesenswert  ist).  Zum
Glück  haben  wir  nicht  mit  einem  Fall  von  SMEV  (Spontanes  Massives
Existentversagen) zu kämpfen, nein, für  uns  war  das  (T)raumschiff  sehr
lange  der  Amiga, der dort hinging, wo noch nie ein Computer zuvor gewesen
war. Werden eigentlich die Displays  bei  den  StarTrek-Produktionen  immer
noch  mit  Amigas  dargestellt? Zumindest erwecken die Namen Tobias Richter
und Rudolf Stember aus dem Abspann der Persiflage  "Raumschiff  Highlander"
Erinnerungen daran, daß diese ja auch mal Amiga-User waren -- andererseits,
traf man Raumschiffkapitäne  wie  Cpt.  Norad  auch  schon  früher  in  der
Münchner U-Bahn?

Aber wie durch ein Wunder hat der Amiga  jetzt  seinen  neuen  Cpt.  Picard
bekommen:  Jim  Collas,  der  zwar  keine Glatze hat, aber mit seiner neuen
Generation Amiga MCC1701-D die Revolution einleuten will  und  einer  Tasse
"Earl  Grey,  heiß"  in  den Krieg gegen die Billy Borg zieht, damit wir am
Ende nicht alle zu einem  Kollektiv  hirnloser  PC-Mitläufer  werden.  Denn
eines   verträgt   der   Amiga-User   überhaupt   nicht:  den  Verlust  der
Individualität, der mit dem Mythos des 'Amiga-Spirits' Hand in Hand geht --
wer  will  schon in der breiten Masse untergehen? Darum Jim, gib uns Deinen
besten Schuß mit Deinen Photonentorpedos!

Trotzdem ist es vielleicht doch  nicht  Star-Trek,  sondern  die  Star-Wars
Geschichte  und  Jim ist nicht Captain auf der Enterprise, als vielmehr der
Regisseur des Films. Wie George Lucas versucht er, mit den 15  Jahre  alten
Erinnerungen wieder an den Epos anzuknüpfen, den damals die Trilogie hatte.
Auch wenn Episode I der schlechtest Film aller Zeiten wäre, so  bleibt  der
finanzielle  Erfolg  ganz  sicher  nicht  aus -- zu viel Hype vernebelt den
Verstand  der  Fans,  die  sich  wieder   in   das   alte   Weltraummärchen
zurückversetzt   wünschen,   nochmals   in   Nostalgie  all  die  Emotionen
durchzuleben und zu sehen,  wie  das  Gute  gewinnt.  Sicher  werden  viele
widersprechen,  aber der Lack ist ab. Kein (wirklicher!) Fan wird so leicht
zugeben, daß er enttäuscht wurde. Am Ende schrumpft die  'erste'  Trilogie
sowieso  zusammen  auf  einen gelben Scroller am Anfang des nächsten Films.
Das alte Prinzip des noch-nie-Dargewesenen zieht wohl nicht mehr,  trotzdem
hilft Collas vielleicht der Linux-Hype ein wenig -- und wenn die "richtigen
Fans" werden darauf beharren, daß der Amiga MCC ein "echter Star Wars Film"
ist.

Und da sind ja noch die Merchandising-Produkte. Vielleicht haben wir keinen
lebensgroßen  Petro  Pappkameraden  wie  Jar  Jar  Binks,  aber dafür gibts
AmiCola und Socken mit Amiga-Boing-Ball! Das zählt doch schonmal oder?  Ich
zumindest   bin   zugegebenermaßen   echt   stolz   auf   die  fantastische
Amiga-Kravatte, die ich zu meinem letzten Geburtstag bekommen  habe  (danke
nochmal AndiB!).

Die Welt  hat  sich  weitergedreht.  Viele  der  Idealisten,  die  von  der
Amiga-Religion  überzeugt  waren,  wurden  ebensoschnell  eines  "Besseren"
belehrt wie Odysseus' Seefahrer  von  den  Sirenen.  Andere  Rechnersysteme
können  auch  bunte  Grafiken darstellen, wen interessiert da noch, daß das
Gefährt ein Trabbi mit Porsche-Motor ist. Wer ist heute noch  kein  Zigarre
rauchender,  grauer Mann? Die Amiga Gemeinde gleicht nur noch einem kleinen
gallischen Dorf. Mehr oder weniger erfolgreich trotzen  wir  der  römischen
Übermacht.  Jim  Collas  als Obelix? Von den Dimensionen käme wohl eher Dr.
Peter  Kittel  in  Frage  ;-)  Egal  was  wir  auch  tun,  es  bleibt  doch
Vergangenheit.  Kann  denn  niemand  nochmal  Christopher  Reeve aus seinem
Rollstuhl holen und um die Erde sausen lassen, um die Zeit  zurückzudrehen?
Wer von euch verzweifelten Tüftlern erfindet den Flux-Kompensator?

Doch wer wundert sich noch über den Lauf der Dinge? Die Welt  ist  schlecht
und  Ideale  sind das, was sie nunmal sind, nämlich Utopie. Trotzdem hängen
noch einige wenige (und zu denen gehöre auch ich!)  an  diesem  versunkenen
Atlantis,  glauben immer noch, daß es sich lohnt, dessen Schätze zu bergen.
Denn in diesen 15 Jahren haben wir alle den Amiga zu schätzen gelernt,  ein
"Wunder  aus  der 9. Straße", das seinem Namen alle Ehre gemacht hat und zu
einer guten Freundin geworden. Wir sind die letzten Ritter der  Tafelrunde,
die versuchen, unseren Heiligen Gral zu retten. Und müßte ich dazu die rote
Pille schlucken, würde ich selbst das tun.

Und warum? Weil der Amiga es wert ist.

Das nächste Jahr wird die Entscheidung über die Zukunft des Amigas  bringen
und  ob wir den Sprung in die nächste Generation schaffen. Hoffentlich kann
ich mir dann den bekannten Kultspruch des leider vor kurzem  verstorbenenen
DeForest Kelly sparen: "Er ist tot, Jim."

Der Untergang des Amigas wäre  nicht  das  "Verlorene  Paradies"  -so  sehr
möchte  ich  dann doch nicht übertreiben-, aber er ist das Colorwaschmittel
unter dem Computern: er gibt der Wäsche  den  Extraklecks  Farbe.  Oh,  ein
Rückfall  in die TV-Werbung! Ich glaube, es besser, sich nach diesem langen
Exkurs zu entspannen, und was eignet sich da besser als  ein  mittelmäßiger
Film in der guten, alten Glotze...

Chris Hodges, 31. August 1999


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